Warum die Theologie des Leibes so notwendig ist
„Das Gegenteil von lieben ist nicht hassen, sondern jemanden benützen“ sagte der Hl. Johannes Paul II. und macht damit in nur einem Satz schon vor Jahrzehnten klar, was die große Herausforderung sein werde – der zunehmende Egoismus der Menschen. Es hat sich bewahrheitet, wenn man die Anzahl der zerbrochenen Ehen und einsamen Menschen heute sieht. Aber wie kann man Ehe und Familie so leben, damit diese gelingen? Gibt es eine Gebrauchsanweisung für die Liebe? „Wenn die Lehre der katholischen Kirche wahr ist, dann muss sie auch lebbar sein“, sagte Karol Wojtyla als Phänomenologe und damals noch Priester in Polen und machte sich daran, die „Schönheit der menschlichen Liebe“ zu erkunden. Was dabei herauskam, war neben vielen anderen Dokumenten die „Theologie des Leibes“, die er in Mittwochskatechesen darlegte. Man kann nämlich im Leib das Geistige und Göttliche sichtbar werden lassen,1 sagte er, und das der Welt zeigen, in dem man sich total verschenkt. Dann erst wird der Mensch zum Menschen, alles andere ist nicht genug2 . Es ist das Gegenkonzept zum gegenseitigen Benützen und zum Degradieren des anderen zum Objekt. Ein Objekt ist ein Gegenstand, den ich benützen und wegwerfen kann. Wer will aber nicht viel eher geliebt, denn als Objekt behandelt werden? Jeder, der sich schon einmal benützt gefühlt hat, und das ist wahrscheinlich jeder Mensch, der kennt diese Verletzung, die bis ins Innerste hineinreicht, bis in unsere Seele.
Erfüllt von Gottes Liebe
Nur wer sich besitzt, kann sich auch verschenken. Sich besitzen bedeutet die Gotteskindschaft zu erkennen, sich als geliebtes Kind Gottes zu wissen. Wenn ich also mein Herz erfüllen lasse mit der Liebe Gottes, dann bin ich so liebessatt, dass ich mich mit einer Leichtigkeit an den Ehepartner, die Kinder, die Gesellschaft verschenken kann. Wenn ich aber mein Herz nicht zu allererst mit der Liebe Gottes erfüllen lasse, dann wird alles schwer. Ich werde die Menschen um mich früher oder später mit meiner Erwartungshaltung nach Liebe und Bestätigung überfordern. Denn wir sind als Menschen, als Abbild Gottes, der die Liebe ist, ganz angelegt auf diese Liebe. Daher kommt dieses riesige Liebesbedürfnis, daher ist es DAS Thema aller Themen. In der Ehe erfährt die Ganzhingabe ihre Erfüllung auch in der körperlichen Vereinigung. Wenn das nicht möglich ist (Abwesenheit, Krankheit, …), dann kann ich mich auch anders verschenken: mit Zärtlichkeiten, mit Gesten. Zur Hingabe ist jedoch jeder Mensch gerufen, auch die gottgeweihten, zölibatär lebenden Menschen. Sie leben die Hingabe, indem sie den Mitmenschen dienen, geistig in ihrem Dienst als Priester oder körperlich als Ordensfrau, beispielsweise in der Krankenpflege.
Gottes Idee von Ehe
Die Theologie des Leibes beginnt mit der Evangeliumsstelle, als Jesus von den Pharisäern gefragt wird, ob sie sich scheiden lassen dürfen. Jesus, der der Weg, die Wahrheit und das Leben ist, nimmt uns durch seine Antwort an die Hand und führt uns an diesen Anfang zurück ins Paradies. Er zeigt uns, wie wir ursprünglich geplant waren als Ehepaar zu leben, vor dem Sündenfall. Diese wenigen Verse des ersten und zweiten Schöpfungsberichtes legt uns der heilige Papst ausführlich dar – um uns zu zeigen, wie wir es heute selbst leben können. Es ist ein Zurückbesinnen, dass wir unseren Ehepartner als Geschenk von Gott erhalten haben, dass er immer zuerst ganz zu Gott gehört, und dann erst zu uns. Es ist ein Darlegen, wie wir uns einander schenken sollten, ohne abzuwarten, dass der andere den ersten Schritt tut. Es ist ein Erinnern daran, wie sehr wir uns am Beginn unserer Ehe lieben konnten, völlig frei von Vorurteilen, Verletzungen, egoistischen Gedanken. Wir wollten damals ALLES und NUR GUTES ausschließlich für den anderen und nichts für mich. Die Liebe ändert sich, man erkennt, dass die Liebe eine Entscheidung ist, dass Gefühle nicht die Grundlage sein können für eine andauernde Ehe, sondern allein das JA, das man immer wieder erneuern muss. Wesentlich jedoch ist es zu erkennen, dass die große Erfüllung, die Erwartung, die wir in uns tragen, erst bei der himmlischen Hochzeit gestillt sein wird. Dann, wenn sich unsere tiefste Bestimmung, uns ganz zu verschenken, in Gott Vollendung findet. Wir können und sollen es hier auf Erden „trainieren“, denn es ist eine Vorbereitung auf die totale, endgültige Hingabe, die dann sein wird. Wenn wir das verstehen, dann sagen wir „Ja“ zum Herrn, der in unser Leben treten möchte. Dann ist es das FIAT, wie das von Maria, das nötig war, damit das Wort Fleisch werden konnte und das wir zu Weihnachten in der Geburt Christi feiern.
Magdalena Kesselstatt ist seit 30 Jahren verheiratet, hat zwei Söhne und lebt in den steirischen Bergen. Sie ist gelernte Goldschmiedin und hat jahrelang ihren Schmuck über Ausstellungen verkauft. 2013 gründete sie mit ihrem Mann und anderen Ehepaaren die Familienallianz, die anderen Familien, die oft wenig Zeit haben, Informationen über gesellschaftspolitische Themen wie zum Beispiel Lebensschutz, Sexualerziehung in den Schulen, aber auch die Theologie des Leibes, zur Verfügung stellt. Sie absolvierte 2013 den Studiengang „Theologie des Leibes“ in Heiligenkreuz bei Wien und hält seither Vorträge zum Thema. Momentan läuft der zweite Online-Einführungskurs „Theologie des Leibes“ (7 Abende) in Zusammenarbeit mit der Diözese St. Pölten (Österreich).