Während weltweit die Zahl der Katholiken steigt, verzeichnen wir in Deutschland rekordverdächtige Austrittszahlen. Soll es uns da trösten, dass die Evangelische Kirche (EKD) noch mehr Mitglieder verliert? Die Institution Katholische Kirche ist erschüttert durch eine nicht enden wollende Missbrauchskrise und die bedenklichen Weichenstellungen durch die jüngsten Entscheidungen des Synodalen Weges im Februar 2022 in Frankfurt. In weiteren Bistümern stehen zudem noch Missbrauchs-Gutachten aus. Im Ergebnis stehen die Bischöfe und die Kirche unter massivem Rechtfertigungsdruck und Glaubwürdigkeitsverlust als ethische und moralische Instanz. Unter diesem permanenten Beschuss ist die Kirche vom gesellschaftlichen Zeitgeist viel leichter zu überwältigen. Und dieser Geist bahnt sich seinen Weg derzeit durch die altbekannte Themenpalette der liberalen Reformbewegungen: Zölibat abschaffen, Frauen zu Priester weihen, Segnung homosexueller Paare, um nur einige Themen zu nennen.

Bischöfe als progressive Taktgeber

Das progressive Reformbestreben auf dem seit 2019 tagenden „Synodalen Weg“ unter Regie der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) und der vorgeblichen Laienvertretungen des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) ebnet seit seiner Installation in diese Schwäche der Kirche hinein all diesen Forderungen den Weg. Das führt in manchen Bistümern bereits erkennbar zu eigenmächtigen Änderungen und Selbstverpflichtungen abseits der gültigen katholischen Lehre.

Neu ist an diesen Forderungen nur eines: Sie werden nicht mehr bloß von Laien und Universitätstheologen, progressiven Frauengruppen wie „Maria 2.0“ oder Schwulen- und Lesbenaktivisten gestellt, sondern von prominenten Bischöfen mitgetragen wie etwa vom Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing. Dieser agiert somit auf der Synodalversammlung mitnichten als neutraler Moderator, sondern eher als ein Taktgeber. Grundsätzlich wissen nun auch die Protagonisten und auch die genderbewegten „Protagonist*innen“ der Funktionärskaste des ZdK, dass der sogenannte „Synodale Weg“ keine echte Synode ist und die Katholische Lehre und ihre Tradition nicht in einer Art Kirchenparlament in Deutschland verändert werden kann, sondern nur von der Weltkirche und das in Rom. Das, was man dort nicht beschlossen bekommt, oder gar nicht beschließen kann, setzt man deswegen in manchen Bistümern taktisch in anderer Art um.

Fakten schaffen als neue Strategie

Wenn man die Segnung homosexueller Paare also nicht offiziell beschließen kann, weil es zu dieser Frage übrigens auch ein verbindliches Nein von Papst Franziskus aus Rom gibt, dann macht man es trotzdem in zahlreichen Gemeinden und ruft zu Segnungsfeiern und Widerstand auf. Wenn das katholische Arbeitsrecht verpflichtet, dass Mitarbeiter der katholischen Institutionen nach den Regeln des Katechismus leben sollen, dann verzichtet man eben auf die Anwendung des Arbeitsrechtes und die Ahndung dieser Fälle. Man nennt es „Fakten schaffen“. In den Gemeinden wird eine neue Normalität zugelassen. Manche Entwicklung muss nicht offiziell oder gar kirchenrechtlich bestätigt werden, um real zu sein, sie kann sich auch einfach ereignen. Das Endziel dieser Taktik ist inzwischen erkennbar: Die Abschaffung des katholischen Arbeitsrechtes. Explizit geht es dabei um den Verzicht, den Beziehungsstatus oder das gelebte Sexualverhalten von Mitarbeitern weiterhin einer Bewertung unterwerfen zu wollen – also um einen freiwilligen Verzicht auf die Anwendung der katholischen Sexualmoral. Das betrifft vor allem Geschieden-  und Wiederverheiratete aber auch Menschen, die in homosexuelle Beziehung leben, bzw. nach säkularem Recht gar „verheiratet“ sind.

Verzicht auf katholisches Arbeitsrecht

Als Erster war nach der Synodalversammlung im Februar der Würzburger Bischof Franz Jung in dieser Sache vorgeprescht, es zogen nahezu sofort die Bistümer Essen (Bischof Franz-Josef Overbeck) und Osnabrück (Bischof Franz-Josef Bode) nach. Kürzlich schloss sich auch Bischof Bätzing (Bistum Limburg) als Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz an. In einem Interview unter dem Titel „Jeder Priester sollte heiraten dürfen“ erfüllte er die Forderungen der innerkirchlichen Lobbygruppe „#outinchurch“ (im Sinne von homosexuellem „Outing“ in der Kirche) und verkündete auch für sein Bistum, wie jemand seine persönliche Intimität lebe, gehe ihn nichts an. Dabei wird argumentiert, man wolle jetzt „angstfreie“ Arbeitsplätze schaffen, niemand solle sich mehr verstecken müssen. Die ARD lieferte punktgenau zur Synodalversammlung die passende Dokumentation über „schlimme“ Schicksale hinter katholischen Kirchenmauern: Der schwule Priester, der sich zu seiner Sexualität bekennt, die lesbische Kindergärtnerin mit Samenspenderkind, die die Kündigung bekommen hat, usw. Das katholische Arbeitsrecht also als unmenschliches Unterdrückungsregime. Man tut so, als wären die Menschen lebenslänglich gezwungen in sicheren Festanstellungen bei der Kirche zu arbeiten.

Katholische Hülle ohne Inhalt?

Fakt ist: Jeder, der so einen Vertrag unterschreibt, weiß, was man von ihm erwartet. Es sind Berufe, die auch Berufung erfordern. Denn wenn kein „katholischer Geist“ mehr durch die Caritas, die katholischen Kindergärten und Schulen und die zahlreichen anderen Institutionen der Kirche weht – welchen Sinn hat es dann noch, dass die Kirche sie betreibt? Jesus hatte nie gefordert: „Gehet hin und schafft Arbeitsplätze“ – faktisch ist die Katholische Kirche aber zum größten Arbeitgeber Deutschlands avanciert und jetzt will das Personal nicht mehr katholisch sein. An diesem Punkt hat man nur zwei Optionen: Die Stellen streichen und die Institutionen schließen, denn nur wo katholisch drin ist, sollte es auch draufstehen. Oder man verwässert den Inhalt, bis am Schluss nur noch eine katholische Hülle ohne Inhalt und Glaube bleibt – egal mit welchem Personal. Fataler Weise machen sich einige Bistümer gerade auf den zweiten Weg und riskieren damit eine schleichende Entleerung von katholischen Standpunkten im Herzen ihrer eigenen Häuser.