Anfang Oktober tagte in Frankfurt erneut die Vollversammlung des deutschen „Synodalen Wegs“. Laien, Bischöfe und hauptamtliche Mitarbeiter von Verbänden beraten dort Reformen der katholischen Kirche. Herr Meuser, Sie gehören zu einer Initiative, die mit dem „Reform-Manifest“ einen ganz anderen Entwurf verfolgt. Wer steht hinter dem „Neuen Anfang“?

Wir sind eine Gruppe von katholischen und mittlerweile auch evangelischen Christen, welche die Zukunft der Kirche in der Neuevangelisierung sehen. Unter uns sind Theologen, Philosophen, Anthropologen und Publizisten. Wir glauben, dass uns das Evangelium aufruft, Widerstand zu leisten gegen die Reformen, die sich beim Synodalen Weg anbahnen, denn sie führen von Jesus weg und decken die eigentlichen Probleme zu.

Worin liegt aus Ihrer Sicht der Kern der Krise?

Der Mühlstein um den Hals beider Kirchen ist der sexuelle Missbrauch in den eigenen Reihen. In der Katholischen Kirche liegt die Besonderheit darin, dass es statistisch nachweislich viele gleichgeschlechtliche Übergriffe auf Jungen im nachpubertären Alter gab – nicht in erster Linie auf Kinder. Dass die Zahlen außerhalb der Kirche weitaus größer sind, muss außer Betracht bleiben. Christen müssen Sünde mit allen Mitteln bekämpfen, auch wenn davon leitende Mitarbeiter betroffen sind. Sie darf nicht verallgemeinert werden, als hätten alle Christen oder Katholiken daran Anteil, etwa durch eine den Missbrauch fördernde Sexualmoral. Die katholische Sexualmoral ist nicht schuld am Missbrauch, genaugenommen verhindert sie ihn, wenn sie ernsthaft gelebt wird. Man muss die Probleme klar benennen, aber auch auseinanderhalten, was nichts miteinander zu tun hat.

Sie sind gar nicht gegen prinzipielle Reformen: Welche Reformen der Kirche tragen Sie mit?

Wir sind sogar für Reformen, die noch tiefer greifen. Denn in der Tat leidet die Verkündigung ja nicht nur unter den Taten weniger Einzeltäter. Wir sind trotz riesigem Kirchenapparat und hunderttausenden Angestellten weithin abgesunken in die geistliche Unfruchtbarkeit. Es könnte sein, dass wir noch einmal mit Offenbarung 15 konfrontiert werden und uns zu viel Lauheit vorgeworfen wird. Gleichzeitig entsteht das Neue: Menschen, die sich um das Wort Gottes versammeln und es mit der persönlichen Umkehr ernst nehmen. Deswegen wollen wir einen „neuen Anfang“.

Wo ist bei Ihnen eine „Rote Linie“ überschritten?

Bei groß angekündigten Reformprojekten, auf denen es Reden, Papiere, Schnittchen und Fahrtkostenerstattung gibt, aber kein Ruck durch die Kirche geht. Wir bezeichnen die Maßnahmen des Synodalen Wegs als „Pseudo Reformen“. Der Synodale Weg ist strukturkonservativ, populistisch und biedert sich an den Mainstream an. Dort wo die Kirche anecken müsste, beispielsweise beim Thema Lebensschutz und beim Schutz der Familie, duckt sie sich weg.

Sie bemängeln, dass dem Synodalen Weg die kirchenrechtliche Legitimation fehlt. Was meinen Sie damit?

In der Katholischen Kirche kann jede Ortskirche offiziell eine „Synode“ beantragen. Das ist sinnvoll. Bei einer Synode ist die Weltkirche immer eingebunden, damit die Kirche xy nicht aus der Einheit herausfällt.

Die deutschen Betreiber haben aber getrickst, indem sie von einem „Synodalen Weg“ sprechen. Damit wollen sie Rom signalisieren, dass nichts Böses passiert. Den Gläubigen in Deutschland bekunden sie, dass sie „bindende Beschlüsse“ fassen. Alle können sich wild aufregen und an einer Traumkirche herumschrauben. Am Ende ist es geplante Frustration. Rom wird einkassieren, was nicht mit der Lehrmeinung übereinstimmt. Viele werden die Kirche verlassen, weil man ihnen falsche Hoffnung gemacht hat, sie könnten mehrheitlich bestimmen, was die Kirche ist. Der Kirchenrechtler Prof. Stefan Mückl hat es auf einem unserer Online-Studientage sehr klar als kirchenrechtliche „Farce“ analysiert. Die katholische Kirche ist kein Parlament.

Was macht der Synodale Weg in Ihren Augen sonst noch falsch?

Die Vorkämpfer und Organisatoren reden viel von Transparenz und Mitbestimmung, faktisch läuft das Ganze undurchsichtig und strategisch vorgeplant ab. Leute der „richtigen Denkart“ werden in Stellung gebracht. Beschlüsse werden im Eiltempo durch das Plenum gejagt. Redebeiträge dürfen nur eine Minute lang sein, manche Papiere selbst von Bischöfen nicht eingebracht werden. Treten die „Falschen“ auf, gehen rote Karten in die Luft. Es herrscht ein aggressives Klima wie auf einem Parteitag der Linken. Ich empfehle allen den Er­fahrungsbericht unserer Mitstreiterin Dorothea Schmidt, die als Mitglied der Vollversammlung aus erster Hand berichtet, wie es dort zugeht. Ich wünsche mir einfach mehr geistliche Tiefe in den Reformen und dass die Kirche weniger Zeitgeist atmet.

In der Berichterstattung scheint der Synodale Weg ganz gut wegzukommen.

Ja, eindeutig. Die kirchlichen Medien sind in der Hand der Institution Kirche. Säkulare Journalisten glauben den Offiziellen, dass es jetzt aber mal wirklich um fundamentale Reformen geht und dass man das notfalls mit erhobener Faust gegen Papst Franziskus durchsetzen müsse. Die Reformer fordern ja auch nur, was die Medien selbst auf dem Panier haben, etwa die gesamte LGBTQI-Agenda. Besonders linke Journalisten finden es cool, wenn einige Synodalen wollen, dass man Gott künftig gendergerecht als „G*tt“ schreibt.

Wie groß ist Ihre Angst vor einer weiteren Spaltung der Kirche?

Sehr groß. Es gibt mehrere Szenarien: Rom wehrt ab, was in Deutschland „verbindlich beschlossen“ werden soll. Dann kann es zu einer Abspaltung und einer Sonderkirche kommen, so revolutionär aufgeladen sich das Ganze gerade darstellt. Es könnte aber auch sein, dass Rom aus seiner derzeitigen Schwäche heraus nicht reagiert. Das könnte zu einem „schmutzigen Schisma“ führen ohne eine klare Linie der Bischöfe. Dann werden sich die Gläubigen „ihre“ Bischöfe und Priester aussuchen und die anderen als Häretiker und Abtrünnige meiden. Oder Rom und die Bischöfe in der Weltkirche rufen die Kirche in Deutschland zur Ordnung und es gibt eine Kehrtwende mit Neuanfang.

Ist der Synodale Weg zu rebellisch und ungehorsam?

 Ja. Und auch bestimmte Bischöfe sind es. Für Katholiken ist das schon ein Hammer, wenn ein Bischof jetzt sagt: “Wir sind Volk Gottes und können nur Licht der Welt sein, wenn wir mit den Tränen und den schwierigen Lebenssituationen so vieler Betroffener wirklich ernst umgehen, deshalb kann man auch vom Lehramt der Betroffenen sprechen. Es ist die Lehre, die sie in die Nähe Jesu rückt. Dieses ist das einzige wirklich unfehlbare Lehramt.“ Was Lehre ist, steht in der Bibel und in den gemeinsamen Lehrdokumenten der Kirche.

Wo kommen wir hin, wenn alle Betroffenen dieser Welt sagen, was Sache ist? Was ist Ihr Lösungsansatz?

Vor Jahren gab es ja schon einmal das „Mission Manifest“. Darin ging es zentral um das Ende der Betreuungskirche und darum, „Jesus in die Mitte“ zu stellen. Das ist auch aus meiner Sicht der einzige ökumenisch vertretbare Weg in die Zukunft. Um Jesus herum entsteht Jüngerschaft, Freundschaft mit dem Herrn, die vom Geist Jesu geprägt ist und „missionarische Jüngerschaft“ sein muss, wie es Papst Franziskus in „Evangelii Gaudium“ sagt. Früher hat man von praktizierenden Christen gesprochen. Das hat nur passive Kirchenkonsumenten hervorgebracht. Es wurde akzeptiert, sich sonntags im Gottesdienst blicken zu lassen. Der Rest war der Job der Pfarrer und Hauptamtlichen. Die neuen Thesen des „Reform-Manifests“ sind in einem längeren Prozess entstanden, den wir im Gebet begleitet haben.

Wie kann Kirche wieder positive Schlagzeilen produzieren?

Durch radikale Selbstkritik. Und zwar derjenigen, die in Verantwortung waren. Als Papst Franziskus gewählt wurde, hatte er vorher von der großen Krankheit der Kirche gesprochen, „dass sie permanent um sich kreist.“ Also da ist doch ein Weg ins Freie und in den Dienst an den Menschen.

Mit welchen Gefühlen blicken Sie in die Zukunft der Kirche?

Geistlich bin ich gerade ziemlich im Lot. Christus hat gesiegt und wird siegen. Seinen strategischen Plan kenne ich noch nicht. Ich bin aber sehr neugierig.

Vielen herzlichen DANK, Herr Meuser, für Ihre Gedanken zum Synodalen Weg.